Sonderausstellungen im Kunstmuseum Ahrenshoop

Clemens Gröszer
links: Selbst mit M.á.C., 2011, Mischtechnik auf Leinwand, 50 x 40 cm
rechts: Marin a cholie XIII, 2013, Mischtechnik auf MDF-Platte, 175 x 80 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Selbst mit M.á.C., 2011 und Marin a cholie XIII, 2013

Clemens Gröszer – Bühne des Lebens. Malerei und Zeichnungen

25. Juni bis 25. September 2022

Clemens Gröszer (1951-2014) war einer der namhaftesten Maler seiner Generation im Osten Deutschlands. Er lebte in Berlin, war der Ostsee aber sehr verbunden und hat häufig hier geweilt und gemalt. Als er 2014 überraschend starb, hinterließ er eine Reihe unvollendeter Gemälde, darunter eine letzte Version der „Marin á cholie“, seiner zentralen Kunstfigur. Beinahe wäre diese Arbeit in das Kunstmuseum Ahrenshoop gelangt. Die zwischen Magierin und Prostituierter changierende Figur der „Marin á cholie“ ist ein Alter Ego Clemens Gröszers. In eine romantische Landschaft gestellt – der Meeresausblick mit den berühmten Kreidefelsen an der Steilküste von Rügen erinnert an den Meister Caspar David Friedrich – drückt sie die Spannung zwischen dem hohen Anspruch der Gesellschaft an das künstlerische Vermögen und den Zwängen, die der Markt der künstlerischen Arbeit auferlegt, aus.

Clemens Gröszers Kunst ist handwerklich sehr ausgefeilt. Er malte in einer Lasurtechnik, die in ihrer Perfektion an das Können großer Meister der Renaissance anschließt. Thematisch war er mitten in der Gegenwart. Seine Menschenbilder aus brisanten Milieus der Gesellschaft wirken auf den ersten Blick oft bunt und schrill. Tatsächlich sind sie zugespitzte Metaphern für soziale Befunde und an sie geknüpftes eigenes Befinden. In Gröszers Werken spiegelt sich die Welt in gleichsam bereinigter Form: Menschen, Dinge und Farben treten überscharf hervor. Es gab Perioden in der Kunstgeschichte, wo die Phänomene aus der äußeren und aus der inneren Wirklichkeit in ähnlicher Schärfe gesehen und dargestellt wurden. Renaissance, Romantik, Neue Sachlichkeit und Surrealismus fielen in Zeiten gravierender Umbrüche, als ein Weltbild ins Wanken geriet und mit vielen seiner Voraussetzungen neu gedacht werden musste. Gröszer schien in diesen Zeiten innerlich umherzugehen, als seien sie Szenarien seiner persönlichen Erfahrung gewesen. In diesem Sinn zitierte er die Kunstgeschichte. Wiederholt bezog er sich dabei auf die Symbolik christlicher Werke.

Der „Dresdner Altar“ – eine an die Form mittelalterlicher Wandelaltäre angelehnte, mehrteilige Arbeit – ist ein Dokument eindringlicher Gegenwartsbefragung. Als heiliger Antonius, den Dämonen plagen, ist der Künstler selbst darin präsent. In der Kreuzigungsszene im Mittelteil, die nicht auf Golgatha, sondern auf einer gezimmerten Bühne in verödender Landschaft stattfindet, thront anstelle der trauernden Mutter Christi Gröszers „Marin á cholie“. Sie ist die metaphorische Hauptgestalt seines Werkes mit Bezügen zu Albrecht Dürers „Melencolia“ und zum Bildnis der ägyptischen Königin Nofretete, deren majestätischer Kopfschmuck in den meisten Fassungen der „Marin á cholie“ durch eine Supermarkttüte ersetzt ist. Der Körper des Modells Marina gab der Kunstfigur das physische Gesicht. Gröszer hat es Veränderungen unterworfen, die Zustände der von ihm erlebten Wirklichkeit anzeigen – in den Jahren vor dem Umbruch in der DDR und in den Jahrzehnten danach. Der sprichwörtliche „Tanz auf dem Vulkan“, in dem Gemälde „Danse macabre“ gegenwärtig, war dem Künstler als gesellschaftlicher Zustand permanent vor Augen.

Die meisten Menschenbilder Clemens Gröszers sind als Bildnisse gestaltet und sind als diese sowohl Inszenierungen sozialer Typen als auch Psychogramme. Lustvoll breitete der Maler das dazu gehörige Spektrum an Requisiten, Kostümierungen und Hintergründen aus. Das von ihm sehr oft gewählte, schmale Hochformat erinnert an die Formate von Heiligenbildnissen auf mittelalterlichen Altartafeln und der von ihnen abstammenden Herrscherporträts der Renaissance. Das wird auch durch die selbstbewussten, stets würdigen Haltungen bekräftigt, die die Porträtierten darin einnehmen. Gröszer sorgte dafür, dass sie formvollendete Auftritte haben, in kompositorischer wie malerischer Hinsicht. Obwohl der Blick des Malers auf die Dargestellten eher distanziert war, kam er mit seiner fast schon gnadenlosen Präzision noch im Erfassen winziger Details sehr dicht an seine Modelle heran. Stets spürt man dabei – namentlich in den Selbstbildnissen – eine leise Ironie. Galt sie der Vergeblichkeit des Schauspiels, in dem die Dargestellten in ihren hinreißenden (Selbst)-Aufmachungen ihre Rollen wahrnehmen? Der „Tanz auf dem Vulkan“ kennt keine Pausen. Gröszer sah das so und sah ganz deutlich, dass die Welt dabei an jedem Tag vor einem Untergang steht.

Clemens Gröszer, Kreuzigungsfragment (Dresdner Altar). 1984/2004, Triptychon, Mischtechnik auf Hartfaser, 109,5 x 196 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Clemens Gröszer, Kreuzigungsfragment (Dresdner Altar). 1984/2004
Clemens Gröszer, Danse macabre (II). 1992, Mischtechnik, Collage auf Leinwand, 195 x 88 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Clemens Gröszer, Danse macabre (II). 1992
Clemens Gröszer, H.fünf N.eins (Le Grand Preparateur). 2007-2010, Mischtechnik, Collage auf Leinwand, 140 x 151 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Clemens Gröszer, H.fünf N.eins (Le Grand Preparateur). 2007-2010
Clemens Gröszer, Bildnis Anne-Kathrin Bürger, 2010/2012, Mischtechnik auf Leinwand, 100 x 65 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Clemens Gröszer, Bildnis Anne-Kathrin Bürger, 2010/2012

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